"ISOR aktuell" September 2017:
Die Spezialkommission – geheime Mordermittlung in der DDR?
Prof.
Dr. sc. jur. Frank Rainer Schurich
Wie so oft wird in einer „Dokumentation“ ein sehr banales
Geschichtsbild von den „Aufarbeitern“ und
Filmemachern vermittelt und die kriminalistische Wirklichkeit ideologisch
verwurstet. Am 31. Januar 2017 brachte der öffentlich-rechtliche Fernsehsender
arte in den Abendstunden eine Dokumentation der Filmemacherin Gabi Schlag mit
dem Titel „Die Spezialkommission. Geheime Mordermittlung in der DDR“, der für
an DDR-Kriminalfällen Interessierte spannend und vielversprechend klang. Aber
allein schon die breit gestreute mediale Ankündigung mit Sätzen wie „In der DDR
gab es Verbrechen, die es nicht geben durfte“ oder „Die Kommission wurde zu
einer jenseits der Rechtsstaatlichkeit agierenden geheimen Polizei neben und
über der eigentlichen Kriminalpolizei“1 ließ die Tendenz des Filmes
unmissverständlich erkennen. Dazu wanderte ein Bild durch die Gazetten, das man mit folgender Unterschrift versah: „Bei der Arbeit:
Mitarbeiter der Spezialkommission der Staatssicherheit an einem Tatort. Es
sieht ganz so aus, als wurde die Szenerie extra für das Foto gestellt.“ Als
Quelle wird „WTS-MIXEDMEDIA“ angegeben, die Firma der Filmemacherin.2 Richtig
ist, dass es sich bei dem abgedruckten und im Film gezeigten „gestellten“ Foto
aber um Kriminalisten der Diensthabenden Gruppe der Kriminalpolizei des
Präsidiums der Volkspolizei Berlin mit ihrem Einsatzfahrzeug B 1000 sowie einen
Berliner Schutzpolizisten handelt. Die richtige Quelle wäre übrigens Film- und
Bildstelle des Ministeriums des Innern der DDR gewesen, denn die Aufnahme wurde
für einen Bildband über die Arbeit der Deutschen Volkspolizei gemacht, der dann
auch erschien. Wenn man ebenso leichtfertig wie persönlichkeitsrechtverletzend
mit einer Fotografie umgeht und damit Lügen in die Welt setzt, kann man sich
vorstellen, wie es erst in der Dokumentation zugegangen ist. 1 Berliner Zeitung
vom 27.01.2017, S. 18. 2 Ebenda. Allein der Titel ist irreführend. Es gab nicht
DIE Spezialkommission (SK), sondern für die Untersuchung unnatürlicher
Todesfälle existierten im Ministerium für Staatssicherheit die Hauptabteilung
IX/7, Referat 1 (vormals Mord- und Brandkommission) sowie in allen
Bezirksverwaltungen des MfS eine Spezialkommission der Linie IX. Die
Aufstellung der SK in den Bezirken begann 1967 und war 1970 abgeschlossen. Im
Film wird der Zuschauer dann darüber aufgeklärt, dass die „Spezialkommission
Verbrechen nicht nur aufklären, sondern vor der Bevölkerung geheim halten“
sollte. Korrekt ist, dass die Spezialkommissionen Verbrechen ausschließlich zu
untersuchen und aufzuklären hatten. Die Leiter und Mitarbeiter der SK hatten
nicht den Auftrag, die Bevölkerung zu unterhalten, und zudem keine Befugnis,
medial über die zu untersuchenden Verbrechen berichten zu lassen. Die
Entscheidung, wann und wo über einen Fall in der Presse zu berichteten sei, lag
in keinem Fall bei den Spezialkommissionen. Übrigens war die Verfahrensweise
bei den Morduntersuchungskommissionen (MUK) der Kriminalpolizei analog (und ist
heute noch so). Die Entscheidung über die angemessene Einbeziehung der
Bevölkerung setzte ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein voraus. Unter
Beachtung der Geheimhaltung, vorrangig hinsichtlich des Täterwissens,
kriminaltaktischer Erwägungen sowie möglicher Erfolgserwartungen war die
Notwendigkeit sorgfältig zu prüfen und dann zu entscheiden. Zudem sollte
innerhalb der Bevölkerung keine unbegründete Kriminalitätsangst hervorgerufen
werden. Im Film kommt auch die bessere und modernere Ausstattung der SK zur
Sprache. Ja, die SK waren besser und moderner ausgestattet. Allerdings wurde
nicht darüber berichtet, dass die Spezialkommissionen in vielen Fällen die MUK
mit ihrer Technik unterstützten. Aber führten ein besseres Schallaufzeichnungsgerät
oder eine Polaroid-Kamera zum Täter? Wohl kaum. Immer war letztlich der Mensch
entscheidend an der Aufklärung der Verbrechen beteiligt. Und der Mensch war es
auch, der die Zusammenarbeit zwischen den Spezialkommissionen und den
Morduntersuchungskommissionen gestaltete und prägte. Dass es hier bezirkliche
Unterschiede gab, liegt in der Natur der Menschen. Und natürlich wurden auch
andere Klischees im Film voll und ganz bedient. So durften die medial
überstrapazierten Szenen zur konspirativen Wohnungsdurchsuchung aus dem
allseits bekannten MfS-Lehrfilm nicht fehlen. Leider wurde in der Doku nicht
darüber berichtet, dass eine solche konspirative Wohnungsdurchsuchung bei den
Film-Fällen nicht stattfand. Die Wohnungsdurchsuchungen bei den beiden
Serienmördern in der Dokumentation erfolgten im Rahmen eines eingeleiteten
Ermittlungsverfahrens, als sich beide bereits in Untersuchungshaft befanden,
und führten zum Auffinden wichtiger Beweismittel in Form von Aufzeichnungen,
die beide Täter zu den Taten fertigten. In der Dokumentation von Gabi Schlag
erfährt der Zuschauer hinsichtlich der Leipziger ISOR aktuell September 2017
Seite 3 Krankenschwester und Serienmörderin, im Film Sybille D., genannt, dass
der Chefarzt der Frauenklinik Prof. Springer hinsichtlich seiner Feststellungen
den Leiter der Bezirksverwaltung des MfS Generalmajor Hummitzsch
anruft und dieser dem Mediziner rät, Anzeige zu erstatten. Klar, der Arzt ruft
mal einfach unkompliziert beim General des MfS an. Klingt komisch und ist es
letztlich auch. In der Realität war der Auslöser für die Ermittlungen der
Leipziger Spezialkommission an der Städtischen Frauenklinik die Mitteilung des
Kreisarztes Leipzig an die Kreisdienststelle für Staatssicherheit
Leipzig-Stadt. Der Kreisarzt informierte am 10. April 1986 die zuständige
Kreisdienststelle über Unregelmäßigkeiten bei der Muttermilchversorgung
Neugeborener und damit auftretender medizinischer Komplikationen. Leider bleibt
unbekannt, wessen Hirn der Anruf des Chefarztes bei Generalmajor Hummitzsch entsprang. Hummitzsch
selbst kann dazu keine Auskunft mehr geben. Und natürlich darf auch der
bekannteste DDR-Serienmörder Erwin Hagedorn aus Eberswalde nicht fehlen. Zum
Fall Hagedorn heißt es in der Doku: „Schon einmal hatte die Spezialkommission
Kindermorde falsch eingeordnet“ bzw. „tippte die Spezialkommission auf eine
Beziehungstat“ oder der Täter wurde „mit Hilfe von Polizeipsychologen gefasst.“
Alles falsch. Richtig ist, dass die an der Untersuchung beteiligten
Kriminalisten des MfS (HA IX/7 des MfS und Spezialkommission der
Bezirksverwaltung Frankfurt an der Oder) bereits nach dem Doppelmord an Henry
Specht und Mario Louis am 31. Mai 1969 davon ausging, dass es sich bei dem
Täter um einen „Sexualpsychopathen mit sadistischer Prägung, also um einen in
der Triebsphä- re gestörten
Mann, um einen Pädophilen handelt“. Wie es zu den oben genannten Aussagen in
der Dokumentation gekommen ist, lässt sich leider nicht verifizieren. Korrekt
dagegen ist, dass der Täter mit zielführender Unterstützung durch forensische Psychiater
ermittelt werden konnte. Allerdings verzichtet der Film auch hier auf die
Benennung der konkreten Umstände. So waren es die Angehörigen der HA IX/7 des
MfS, Py. und Lü., die
zuerst den international bekannten Gerichtspsychiater Prof. Schipkowensky
in Sofia konsultierten und dann den Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik der
Charité Hans Szewczyk gutachterlich beauftragten –
auf der Grundlage aller verwertbaren Ausgangsdaten des Falles. Grundlage für
die Festnahme Erwin Hagedorns war dieses herausragende Täterprofil von Prof.
Dr. Hans Szewczyk (1923-1994), der seit 1961 die
Abteilung für Forensische Psychiatrie und Psychologie an der Charité der
Humboldt-Universität zu Berlin leitete. Heute wird der Begriff des „Profilers“
mit dem FBI assoziiert, das diese Methode angeblich
entwickelt haben soll. Es war aber Hans Szewczyk, der
das erste wissenschaftlich begründete Täterprofil der Welt im Fall Hagedorn
erarbeitete, was mittlerweile auch in der Fachliteratur anerkannt ist. Darüber
wird in der Dokumentation von Gabi Schlag nichts gesagt, es werden viele
falsche Thesen aufgestellt, die sich in den Akten und in den Aussagen von
Zeitzeugen überhaupt nicht finden lassen.1 Im Fall des getöteten
Hauptwachtmeisters der VP La. vom 21. September 1982 kommen zwei ehemalige
Mitarbeiter der Berliner MUK zu Wort. Die beiden dargestellten Kriminalisten
beklagen, dass die Spezialkommission die Befragung abrupt unterbrochen und den
Verdächtigen mitgenommen habe. Das ist insofern korrekt, als dass die
Spezialkommission der BV Berlin letztlich übernommen hat. Aber auch hier lohnt
sich die konkrete Darstellung der Ereignisse. Richtig ist, dass der Verdächtige
R. am 25. und 26. September 1982, also zwei Tage, von der Berliner MUK
überprüft und vernommen worden ist. Es ist also nicht so, dass der Verdächtige
bereits kurz nach seiner Zuführung durch die SK übernommen wurde, denn bereits
am Tag der Zuführung informierte MUK-Leiter Wr. den
SK-Leiter St. über den Sachverhalt. Die Übernahme durch die SK der BV Berlin
erfolgte erst am 27. September 1982, nachdem sich R. bereits zwei Tage bei der
Berliner MUK befand. Auch wurde die Übergabe des Verdächtigen an das MfS durch
Oberstleutnant der K Be. mitgeteilt. Vernommen durch die MUK-Kriminalisten Lö. und Oe. machte R. in
allgemeiner Form Aussagen darüber, den Schutzpolizisten durch Messerstiche
getötet und dessen Dienstwaffe an sich genommen zu haben. Außerdem machte R.
bei seiner Vernehmung durch die MUK Aussagen zu Spionen, zu denen er Kontakt
gehabt haben will. Bei R. handelte es sich um eine „erheblich fehlentwickelte
Person mit einer manifestierten abnormen Lügensucht“, was allerdings bei der
Übernahme des Verfahrens durch das MfS noch nicht bekannt war. Vor seiner
Übergabe an das MfS äußerte der Tatverdächtige gegenüber dem MUK-Leiter Wr. dass er die Tat nicht begangen habe und sein Geständnis
den Zweck hatte, dem MfS übergeben zu werden. Letztlich musste der aus Görlitz
stammende Tatverdächtige vom MfS entlassen werden, da die geführten
Untersuchungen keinerlei Beweistatsachen für seine Täterschaft ergaben. Auch
mit den kriminaltechnischen Untersuchungsergebnissen war der Tatbeweis nicht zu
führen. Zur Wahrheit gehört auch, dass der Fall der Kriminalpolizei nicht
entzogen war, wie im Film suggeriert. Er wurde in Zusammenarbeit Linie IX des
MfS und Hauptabteilung Kriminalpolizei, Referat 3, unter OSL der K Gr.
bearbeitet. Leider gilt der Fall bis heute als ungeklärt. Nach den bisher
geschilderten Inhalten des Filmes überrascht es nur noch wenig, dass man 1 Vgl.
Stefan Orlob: War der deutsche forensische Psychiater
Hans Szewczyk der erste moderne Profiler? Archiv für
Kriminologie 207, 2001, S. 65-72 aus dem Neubrandenburger Serienmörder, im Film
Martin S. genannt, einen Leutnant der NVA machte. Da musste man schon ein wenig
dicker auftragen, und der korrekte Dienstgrad von S., Unterfeldwebel, erschien
der Filmemacherin wohl zu klein, denn ein Offizier der Armee des
Unrechtsstaates DDR als Serial Killer musste es mindestens sein. Noch besser
wäre ein General gewesen, könnte man hinzufügen! Natürlich hat das MfS auch in
diesem Fall zusammen mit der Kriminalpolizei auf zentraler und territorialer
Ebene ermittelt. Nachdem der Täter durch die Volkspolizei bei einer weiteren
versuchten Tat am 8. Juli 1984 am Kiessee bei Schildow, Ortsteil Mönchmühle im Kreis Oranienburg,
festgenommen worden war, erfolgte seine Übergabe an das MfS. Dies war insofern
nicht ungewöhnlich, da die HA IX/6 explizit für die Untersuchung von schweren
Straftaten durch NVA-Angehörige fachlich zuständig war. Dieser Fakt wurde dem
unbedarften Zuschauer selbstverständlich nicht mitgeteilt. Richtig ist, dass
das Bezirksgericht Neubrandenburg im März 1984 einen Unschuldigen zu
lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilte – für zwei Morde, die, wie sich
später herausstellen sollte, von Martin S. begangen worden sind. Völlig
unerwähnt bleibt natürlich, dass der fälschlich Verurteilte nach einer Mordtat
mit der Leiche in Berührung gekommen war, was durch Faserspuren bewiesen werden
konnte. Außerdem hatte er ein Geständnis abgelegt, und auch die in einer
Rekonstruktion gezeigte Stichführung an einer Puppe entsprach voll und ganz der
durch Gerichtsmediziner ermittelten Stichführung beim Opfer. Das Verschweigen
dieser Fakten hat nur eine Zielstellung, nämlich den „Unrechtsstaat DDR“ aufs
Podest zu heben. Hier soll deshalb unbedingt auf das Lexikon der Justizirrtümer
von Patrick Burow (2013) hingewiesen werden, in dem
kein einziger Fall aus der DDR, aber viele erschreckende Unrechtsurteile aus
dem „Rechtsstaat BRD“ aufgeführt sind. Zusammenfassend lässt sich über den Film
sagen: Durch die geschickte Auswahl von Fakten und deren Mischung mit nicht
nachvollziehbaren Behauptungen sowie dem Weglassen von Tatsachen ist es dem
normalen Zuschauer faktisch nicht möglich, Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden.
Und das ist ja wohl beabsichtigt worden. So wird quasi ein wirres Bild nach dem
Motto „gute rechtsstaatliche Morduntersuchungskommission“ und „böse
unrechtsstaatliche Sonderkommission“ gezeichnet. Dabei ignoriert die
Filmemacherin völlig, dass bestimmte Verbrechen ohne das Wirken der
hervorragend ausgebildeten Kriminalisten des MfS nicht hätten aufgeklärt werden
können, wofür es genügend Beispiele gibt. Und das hatte wenig mit der
moderneren Technik zu tun.